2024 | 11
Weshalb sind unsere Demokratien so polarisiert?
Um zu verstehen, weshalb unsere Welt genauso ist, wie sie ist, müssen wir erkennen, was sie formt: Paradigmen.
Paradigmen haben zwei Dimensionen: Sie sind Weltbilder, sind Ausdruck dessen, wie wir die Welt verstehen. Und sie gehen darüber hinaus, sind in gewisser Weise selbsterfüllend: sie erschaffen genau diese Welt, in dem sie unser Denken und Handeln entsprechend leiden. Glauben wir, dass die Welt von einem Gott erschaffen wurde, dann handeln wir danach. Glauben wir, dass es nichts anderes als diese eine materielle Welt gibt, so handeln wir danach. Und glauben wir, dass wir Menschen die Natur kontrollieren können, so handeln wir danach. Und mit alledem formen wir die Welt.
Diese zwei Dimensionen von Paradigmen können wir sehr gut an einem Paradigma nachvollziehen, das unsere Gesellschaft gerade dominiert: der Polarisierung.
Wir nennen unsere Demokratie „repräsentativ“, weil sie auf der Idee basiert, dass diejenigen, die regieren, ein Abbild derjenigen sind, die regiert werden. Tatsächlich aber basiert unsere Demokratie nicht auf Repräsentation, sondern auf Konkurrenz: Wahlen entscheiden darüber, wer die Macht hat. Und wählen heißt nichts anderes, als dass da zwei oder mehrere Personen, Parteien, Organisationen in Konkurrenz zueinander stehen. Sie buhlen um die Gunst der Wähler. Und dieses Buhlen durchdringt unsere gesamte politische Ordnung. Über die Jahre hinweg hat sich diese Konkurrenz zur Polarisierung weiterentwickelt. Es geht es nicht mehr um die eine oder andere Sicht, die eine oder andere Lösung, es ist immer eine Konkurrenz zwischen Personen und der Wahrheit: Entweder er oder sie, du oder ich, richtig oder falsch. Wenn ich richtig bin, kannst du nur falsch sein und umgekehrt.
Polarisierung ist ein extrem starkes politisches Mittel, um Menschen zu mobilisieren. Das können wir am Thema der Migration sehr deutlich ablesen. Parteien haben dieses Thema in den 1980er und 1990er Jahren strategisch aufgebaut, um Wähler zu mobilisieren. Obgleich es keine Krise gab, haben sie eine Krise inszeniert, um von dieser Krise politisch zu profitieren. Jetzt leben wir in mitten dieser selbst inszenierten Krise und unser Blick auf dieses Thema ist durch diese politische Manipulation geprägt. So haben wir uns die Sicht auf die Wirklichkeit verstellt, auf die Fragen und die Themen, die wir tatsächlich zu klären haben. Und wir halten uns auch davon ab, zu erkennen, welchen Anteil wir selbst mit unserem Lebenswandel an den Krisen haben, welchen Teil wir dazu beitragen, dass Millionen Menschen auf der Flucht sind. Es ist die Polarisierung unsere Gesellschaft, mit der wir uns hindern, die Krisen zu lösen, die wir selber geschaffen haben.
Paradigmen sind mächtig, sie können ganze Gesellschaften dominieren. In der kommenden Woche werde ich über zwei weitere Paradigmen sprechen, die unsere politische Ordnung und unsere Krisensituation herrschen: das Paradigma der Macht und das Paradigma der Ausgrenzung. Wenn wir die beiden Paradigmen verstanden haben, steht uns sein erster Weg offen, unsere Gesellschaft einfach und wirkungsvoll zu transformieren.